Stünde heute, hier und jetzt, Ernst Degasperi vor uns, er würde nicht schweigen zu den tausenden Ertrunkenen und sich nicht scheuen, unser Meer, das Mittelmeer, das Mare Nostrum, ein Meer von Gleichgültigkeit, Ideenlosigkeit und Mutlosigkeit zu nennen. Ernst Degasperi könnte nicht schweigen. Die Ertrunkenen und täglich Ertrinkenden sind nicht Opfer einer Naturgewalt, wie sie gerade schrecklich erlebt und erstorben wird. In Nepal kämpfen Menschen unter Selbstaufgabe um jeden Funken Leben unter den Trümmern. Aber die Ertrinkenden im Mittelmehr sind skandalös berechenbar, würde Ernst Degasperi vielleicht sagen, er, der sich nie ein Blatt vor den Mund genommen hat, er würde die Grenzen, Mauern und Zäune, mit denen sich ein Kontinent umgibt mit den Weherufen des Propheten beklagen , ein Kontinent, der sich einst das Christliche Abendland nannte und die Wiege der aufgeklärt-laizistischen Troika Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Er würde den Namen- und Gesichtslosen einen Namen und ein Gesicht geben. So wie er mit unendlicher Achtsamkeit, innerer Kraft und mitmenschlicher Zärtlichkeit in Abermillionen von Feder-, Pinsel- und Gravourstrichen dem Menschen – ecce homo! - in seinem Leid und letztlich in gläubig-überzeugter Hoffnung auf ein Dennoch-der-Vollendung die Würde zurückgegeben hat.
Verehrte Frau Landesrätin, Herr Bürgermeister , geschätzte Damen und Herren, liebe Familie Degasperi, liebe Risa! „Wehe mir, wenn ich nicht verkünde“, schreibt Paulus im ersten Korintherbrief, „ein Zwang liegt auf mir.“ Ernst Degasperis Schaffen liegt unter dem Auftrag – um nicht zu sagen: dem Zwang – des Prophetischen. So habe ich ihn vor 50 Jahren – bei der Ausstellung auf dem Leopoldsberg im Rahmen der Wiener Festwochen 1965 – kennen gelernt, zwei Jahre nach dem offenbar grundstürzenden Ereignis, das er sich nie gescheut hat, seine Berufung zu nennen. Er spricht sogar von einem „Ausgegrenzt“ und „ Geschleudert werden“, das ihm damals widerfahren war.
Gehorsam diesem Auftrag sind in nahezu fünf Jahrzehnten über dreißig Werkzyklen mit nahezu 600 Bildern entstanden, dazu unzählige Einzelarbeiten, ein Kosmos, buchstabiert angefangen vom Alpha in der Welt- und Menschwerdung, auch in der tiefsten Erniedrigung, bis zum Omega teilhard‘scher Vision. Das erste und letzte Ziel dieses Auftrags: mit seiner Kunst dem Frieden und der Verständigung der Völker und Religionen zu dienen. Quer durch Europa, das noch in Blöcke zerrissen war, durch den Nahen Osten, durch Amerika, Afrika und Asien konnten seine Bilder zu Botschaftern eines Versöhnungsnetzwerks werden, zu einer grenzenlos verstehbaren Sprache der Hoffnung, eines Esperanto der Verständigung – vor allem , noch einmal sei es gesagt, der Verständigung zwischen den Religionen.
Degasperi hat nie – weder in Wort noch im Bild – für eine standpunktlose wechselseitige „Toleranz“ geworben. Nur aus der Verankerung in Liebe zur eigenen Religion konnte er den „lebendigen Saft“ – den succo vitale (eine Formulierung von Johannes XXIII. bei der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils), den lebendigen Saft der zuinnerst empfundenen Wertschätzung auch der jeweils „anderen“ Religion gewinnen. Ich durfte vor 50 Jahren ein bescheidener Zeuge werden, Zeuge vor allem auch an mir selber und meinem damals noch mangelhaften Bewusstsein, wie Degasperi in seinen biblischen Zyklen „Das Lamm“ und „Das Wort“ mit Seziermesserschärfe die jüdischen Wurzeln des Christentums freilegte und schmerzend auf dessen Anteil am Räderwerk der Todesmühlen verwies. Mit seiner Kunst war Degasperi damals einer der raren Pioniere jüdisch-christlicher Verständigung.
Ernst Degasperis Bildsprache ist unverwechselbar und hat in ihrer eindrucksvollen Eigenwilligkeit weder Vorbilder noch Nachahmer. Sein künstlerisches Vokabular (wobei mir dieses Wort recht passend erscheint, kommt es doch vom lateinischen vocare – rufen, herausfordern, be-rufen): Formal gesehen ist die Wurzel, der zum „Vorschein“ gelangte Wurzelstock, ein immer wiederkehrender Grundtopos der Bildsprache von Ernst Degasperi. Radix, radikal, bloßgelegt, ausgewaschen, bloßgestellt von Wind und Wetter, einsam in der Baumgrenze, gebleicht, zerrissen. Wurzel Jesse. Bei Jesaja heißt es im Vierten Gottesknechtlied: „Er wuchs empor vor uns wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich.“ Eine andere Urform: die Distel. Prächtig, hoheitsvoll, verachtetes Unkraut, demütige Nahrung der geduldigen Esel wo sonst nichts mehr wächst, stacheliges Gebild, spitz in der Haut, läßt nicht schlafen, Stacheln und Dornen, Krone, Rose, Rose über dem Dorn, Dornbusch. Drittens Israels Wüste: Schluchten, Felstürme, ausgetrocknete Flussläufe und himmelreckende Klagesäulen. Verdurstetes, totes Gebein. Dann auch das Blühen der Wüste. Der Ölbaum. Degasperi arbeitete mit diesem Vokabular in so gut wie allen graphischen Techniken bis hin zum Sgraffito. Besonders erwähnt seien auch seine seltenen Kupferschmelzarbeiten, die – bislang kaum gezeigt – in einem eigenen Raum dieser Ausstellung zu sehen sind.
Für die geistig-humane Quelle – als spirituelle Fotosynthese von Degasperis Bildwelt – stehen drei eng miteinander verwandte Begriffe: Begegnung, Dialog, Gespräch. Aus ihnen, mit ihnen und ihnen lebte der Künstler Ernst Degasperi, lebt noch immer sein Werk; auf sie hin wirkt er im aufmerksamen Betrachter /der aufmerksamen Betrachterin /weiter. So gesehen erschien und erscheint mir seine Kunst immer als eine pfingstliche Kunst, die die Zungen zu lösen vermag für eine Sprache der Herzen, wie es der große John Henry Newman auf seinen Grabstein schreiben ließ: Cor ad Cor loqitur – Herz spricht zum Herzen. Damit bin ich beim Titel dieser Ausstellung - Art for Peace, Kunst für den Frieden. Welcher Friede bei Degasperi nur gemeint sein kann, hat er lapidar in das Fundament seines „Hauses des Friedens“ eingemauert. Vier Zeilen als Ecksteine: Frieden zwischen Gott und Mensch Frieden zwischen Mensch und Mensch Frieden zwischen Mensch und Tier (ja auch das, franziskanisch!) Frieden zwischen Tier und Tier.
Im Jahr der Jahrtausendwende, am 26. Mai 2000, es war ein Freitag! predigte Degasperi – in der Tat, so steht es in seinen persönlichen Aufzeichnungen: Ernst Degasperi predigte! in der Abu Nour Moschee in Damaskus vor 2000 Moslems. Im Zentrum einer Ausstellung im Arab Cultural Centre Abu Rummaneh standen damals seine Bilder aus der Genesis sowie die kostbaren Zyklen der „Friedensnamen Allahs“ und des „Sonnengesangs“ des Franz von Assisi. In dieser legendären Predigt in der Moschee breitete Degasperi eine Vision aus: „Eines Tages“, so sagte er, „werde ich in Wirklichkeit eine breite Straße sehen, mit drei Fahrbahnen. Alle führen in das Zentrum, in die Ewigkeit. Alle drei Trennlinien führen uns zum ALLERHÖCHSTEN, um uns zu umarmen in der ewigen Quelle des Friedens. Die Linien der großen drei monotheistischen Religionen trennen uns noch, gleich einer Autobahn mit gelben Strichen. Noch braucht es möglicherweise eine lange Zeit, aber wir werden uns in Zukunft immer mehr und mehr treffen. Wir werden uns im Geist dessen treffen, der DER LIEBENDE heißt, wie Gott mit einem der der 99 Friedensnamen Allahs genannt wird, (al-Wadūd, der Liebevolle, der alles mit seiner Liebe Umfassende,) denn – so Degasperi abschließend – wir haben alle einen Vater Abraham, den Vater aller Glaubenden.“ Heute – angesichts der Greueltaten der Dschihadisten – würde Ernst Degasperi noch unterstreichen, was er bereits vor 35 Jahren in Kairo gesagt hat, als auch dort die elf Friedensnamen Allahs gezeigt wurden: „Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was die Menschen im Namen Allahs tun und dem, was Allah durch seinen Propheten zu seinen Gläubigen sagt.“ Heute würde er bestimmt hinzufügen: „Zu töten und sich dabei auf eine Religion zu berufen – gleich auf welche, ist nicht nur ein Verrat sondern ein Angriff auf diesen allliebenden Gott“. Und die dümmste Reaktion darauf wäre: den Dialog abzubrechen oder mit Unterstellungen, Verdächtigungen und Verallgemeinerungen zu behindern.
Degasperi sieht in der Versöhnung der Weltreligionen, der großen geistigen Strömungen, die die Kulturen dieser Welt in höchstem Masse geprägt haben, den einzigen Weg, um dem ausufernden Materialismus in den Arm zu fallen. Erst heute wissen wir, wie recht er mit dieser prophetischen Sicht hat.
Ein Wort zu den Bildern des Zyklus „Friedensnamen Allahs“: Im Islam sind Darstellungen von Gott verboten. Umso willkommener ist es, Seine Namen in kunstvollen Kalligraphien zu preisen, vielleicht sogar noch umhüllt von ornamentaler Pracht, heilsamen Mandalas der gestaltlosen Gottesliebe. Dass Ernst Degasperi elf Friedensnamen aus den 99 ausgewählt hat, könnte damit zu tun haben, dass die Zahl elf auch ein islamisches Kürzel für Allahu Akbar - Gott ist groß - ist.
Als Botschaft allversöhnender Liebe ist auch der „Sonnengesang“ des Franz von Assisi zu sehen, der zweite hier in der Burg Gars vollständig ausgestellte Zyklus. Formal durchaus verwandt den Friedensnamen und nicht zufällig ist jede Zeichnung bzw. Collage der beiden Zyklen dem Kreis eingeschrieben. Franz von Assisi ist eine Gestalt, die auch bei Muslimen Respekt genießt, so soll ihn der Sultan von Marokko nicht gehindert haben, den Muslimen zu predigen. Weltliteratur aber ist sein Canto del sole, sein „Sonnengesang“, der textliche Vorwurf für die überaus subtilen und kostbaren vierzehn Arbeiten: Es lohnt sich, vor jedem einzelnen der Sonnengesang-Bildern länger zu verweilen, auch hier – wie bei den Friedensnamen Allahs – ist das Wort Betrachtung angebracht.
Laudato si, mi signore, cun tucte le tue creature,
spetialmente messor lo frate sole….
Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne;
Laudato si, mi signore, per quelli ke perdonano per lo tuo amore….
Gelobt seist du, mein Herr, durch alle, die in deiner Liebe vergeben, die alles ertragen in Frieden,
denn von dir, Höchster, werden sie umkrönt sein.
Erlauben Sie, geschätzte Damen und Herren, und Franziskus möge es mir gestatten, dass ich dem „Sonnengesang“, dessen sämtliche neun Strophen ich hier nicht rezitieren kann, eine zehnte anfüge:
Laudato si, mi signore, per le donne fidele, che suo marito sono sempre a portata di mano...
Gelobt seist du, mein Herr, für die verlässlichen Frauen, die ihrem Mann ein Leben lang hilfreich zur Seite stehen.
Wer Ernst Degasperi, seine Arbeit und sein Temperament nur ein wenig kennen lernen durfte, weiß, dass seine Frau Risa aus seinem Leben und der Erfüllung seines künstlerischen Auftrags nicht wegzudenken ist. Du, Risa, warst die erste, so oft die erste, die er mit seinen Visionen überfallartig konfrontiert hat, dass du – oft schlaftrunken – denken musstest: jetzt ist er verrückt geworden. Mit ihm hast du seine Bilder oft mit-erlitten. Aber auch ganz alltäglich warst du am Enstehungsprozess beteiligt: Wochen der Abwesenheit musstest du mit euren Kindern durchstehen, immer wieder Freiraum schaffen für den schöpferischen Prozess. Deine Teilnahme an Sorgen, an Gelingen auch von so Vielem - und Freude darüber.
Laudato si, mi signore, per le donne fidele, che suo marito sono sempre a portata di mano….
Gelobt seist du, mein Herr, für die verlässlichen Frauen, die ihrem Mann ein Leben lang hilfreich zur Seite stehen.
Ich danke Ihnen.
Meine erste Begegnung mit Ernst Degasperi Ende der 1970er-Jahre hatte zunächst wenig mit Kunst oder Religion zu tun. Ein Mitarbeiter meiner Bauträgerfirma, die sich mit neuem Wohnbau im Rahmen der damals noch jungen Wiener Stadterneuerungsbewegung beschäftigte, hatte mich mit ihm bekannt gemacht, um ihm bei einem Mietrechtsproblem mit seinem wenig feinsinnigen Hausherrn zu helfen.
Das Problem war bald gelöst, aber die Verbindung verlagerte sich rasch auf eine andere und für mich zuerst fast verstörende Ebene: mit Kunst hatte ich mich zwar schon länger beschäftigt, aber noch niemals mit einem Künstler, der mir mit fast brutaler Offenheit erklärte, sein Werk und seine Aufgabe aus einer göttlichen Berufung heraus zu schöpfen. Unerhört schien mir das in meiner logischen Welt der Wirtschaft.
Es brauchte nur wenige Gespräche, um meinen Intentionen von Architektur und menschengerechtem Bauen eine neue Richtung zu geben; ich hatte wenig Chancen, die Idee von Ernst Degasperi, seine Kunst in eigentlich ganz normale Wohnbauten zu integrieren, nicht verwirklichen zu wollen – zu intensiv war die Wucht seiner Überzeugungskraft und seiner Ausstrahlung als Verkünder der prophetischen Wahrheit, als dass Vorsicht und Bedenklichkeit dagegen ankämpfen hätten können. In der Folge entstanden Werke an und in Wohnbauten, die weit über bloße bildliche Ausgestaltungen hinausgingen, Installationen eigentlich, würde man heute sagen. Die künstlerischen Ausdrucksmittel waren unterschiedlich: im Furor mit dem Schweißbrenner geschnittene Kupferelemente oder Bearbeitungen der Fassade in Sgraffitotechnik.
Die Rezeption durch die Bewohner war wohl im Sinn des Künstlers: die anfängliche Verunsicherung durch das radikale Eindringen der religiösen Thematik und Symbolik in die biedere Geborgenheit des Wohnens war unverkennbar, sie wich aber bald dem Erkennen der tiefen Botschaft des Friedens und der Verheißung, die der Künstler vermitteln wollte. In diesem Spannungsfeld von oft hartem Aufrütteln und Frieden bringenden Wollen bewegte sich Ernst Degasperi auch in seinen säkularen Werken, seine Berufung niemals vergessend. Damit überschritt er durchaus Grenzen der üblichen Ästhetik und der Rücksicht auf die durchschnittliche Unverbindlichkeit, aber genau daraus entstand eine Spannung, die sich den Bewohnern positiv und bereichernd mitteilte.
Von den Honoraren seiner Tätigkeit blieb nicht viel übrig: Die Leprosen auf den Philippinen bräuchten die Mittel zum Überleben dringender, sagte er nicht nur, sondern handelte auch danach, aufopfernd und ohne Rücksicht auf seine und seiner Familie finanzielle Absicherung. Die Begeisterung, die er in seinen Berichten über die langsamen Fortschritte seiner Patenkinder ausstrahlte, war überwältigend und rückte die Bedeutung mancher großer offizieller Worte gehörig zurecht.
Überhaupt war es nicht zuletzt das Wort, mit dessen Gewalt Degasperi in seinen Gedichten und Reden unerbittlich und nicht selten geradezu gnadenlos Wahrheit verkündete, um Versöhnung und Frieden zwischen den Menschen und ihren Religionen zu fordern, wodurch die Aussage seiner Bilder erst vollständig wurde. Die feinen, buchstäblich ziselierten Linien, aus deren zartem Gewebe Ernst Degasperi seine Kompositionen formte, könnten einen über die Dramatik der manchmal schonungslosen Inhalte seiner Bilder fast hinwegtäuschen, wer ihn aber jemals gehört oder seine Gedichte gelesen hat, wird die Spannung der bildnerischen Aussagen umso stärker empfinden.
Ich hatte in den Jahren unserer Freundschaft das Glück, nicht nur Bilder erwerben, sondern auch die Entstehung einiger seiner Werke unmittelbar miterleben zu können und seine Vision von einer Welt des Friedens und der Wahrheit in Wort und Bild wenigstens ansatzweise verstehen zu lernen. Diese Erfahrung begleitet mich auf eine ganz eigene Weise, wie ich sie nur bei Ernst Degasperi empfunden habe und ich bin sicher, dass seine Botschaft heute mehr denn je Gültigkeit hat.
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